Ermittlungen

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Bericht in Sachen Niergolzing. Martin Wingerter, Ermittler. I/n

1. Oktober 2002, 9:00 Uhr Büro Süd des PND, Jockgrim, Südpfalz

 

Mit einem lauten, klatschenden Geräusch fällt der lindgrüne Hängeregistraturordner vor mir auf den Schreibtisch. NIERGOLZING steht auf dem Namensreiter. Erkennbar an dem roten Filzstift: Höchste Priorität!

 

Mir schwante Schreckliches. Adieu Brückentag, adieu Weinfest in Gleiszellen. Schmenger schnaufte. Schmenger ist mein Chef. Leiter des Büros SÜD und damit in der Position, mir das verlängerte Wochenende zu versauen. "MP will Ergebnisse bis zum 7.10." schnarrte er mit leicht erhobener Stimme. Dass ich noch überhaupt nicht wissen konnte, was hier überhaupt abging schien ihn nur noch mehr zu verärgern. Ich begann mich schuldig und klein zu fühlen. Kurz: "Der MP selber ist per Guugel auf defätistische Machenschaften im Internet gestoßen. Schauen Sie mal in die Akte. !0:00 Kleine Lage im KR." Geräuschvoll fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.

 

Was hatte MP im Web zu suchen, dazu noch selbst? Vor allem - was hatte er so Grauenvolles entdeckt, wer ist Guugel?

 

Neugierig öffnete ich den Ordner. In MP's unverkennbarer Handschrift, die den gelernten Elektriker verrät, standen drei Worte auf einem quadratischen Abreißzettel. Der Zettel stammte von einem Werbegeschenk der Badischen Anilin und Soda Fabrik kurz BASF. "LOOP" "Google"und "Zone" war daraufgekritzelt. Mit einer hellsilbernen Büroklammer war er an einem dünnen Päckchen DIN A4 Blätter befestigt. Ich begann die erste Seite zu lesen. Offensichtlich ein Screenprint einer Webseite:

 

Wandervögeln

 

Griechenwein und Beck's aus Büchsen,

Griebenwurst und Speck vom Bauch

Heucheln uns das Lied vom nahen Herbst.

 

Schwitzt Erntedank aus allen Rohren,

Septemberglut, Altäre, reich gedeckt mit blonden Weibern;

Der Winzer aus der Südpfalz mahnt uns an zu wandern.

 

Wir ziehn hinaus in goldne Fluren:

Der Rücksack spannt, die Stiefel drücken.

Warte, warte noch ein Weilchen:

Bald kehrst auch Du bei Deinem Winzer ein.

 

Pennthaus, Anton & Lloyd Internetcafé JHB Landau/Pfalz * - 17.09.02 at 22:42:16

 

Die Worte Wandervögeln, Becks, Südpfalz, Internetcafé, JHB Landau waren gelb gemarkert, der Satz "reich gedeckt mit blonden Weibern" zudem noch dick unterstrichen.

 

Au weia, starker Tobak. Kein Wunder, dass die Kacke am Dampfen war. Wenn schon dem ersten Blatt im Ordner solche Brisanz innewohnte, was mochten sich da sonst noch für Abgründe auftun? Langsam, langsam, dachte ich, was/wer steckt da wohl dahinter? Auch eine gekühlte Cola light in der Kantine half nicht wirklich weiter. Drei Treppen hoch zum KR abgekürzten Konferenzraum hatte ich noch Zeit um eine Strategie wenigstens ansatzweise anzudenken. Wie immer in solchen Fällen war der Weg zu kurz. Ich wurde schon erwartet.

 

Schmenger hatte abgelegt. Sein Jacket hing über der Stuhllehne, seine Krawatte war gelockert. Äggdschen! Er war in seinem Element. "Schlicher brauche ich Ihnen ja nicht vorzustellen" begann er, mit der Linken auf den beleibten Glatzkopf mit dem Popelinejäckchen zeigend. Dieser hob unbeholfen beide Hände zu einem unvollkommenen Oremus. Natürlich kenne ich Schlicher. Er ist unser Profiler. Wir hatten ihn vor Jahresfrist gebraucht vom LKA übernommen. Septemberhysterie...

 

"Ich sehe einen Frontalangriff auf MP" eröffnete Schmenger das Meeting. "Beck, blonde Weiber und Südpfalz sind ja nicht einmal ansatzweise kryptisch" Das ist ein ungezügelter, feiger, weil anonymer Affront. Obszönitäten wie Wandervögeln und und Internetcafé sollen ein Klima herstellen, das MP und R. in die Griffweite des Millieus zerren sollen." "Ganz große Gagge" sächselte Schlicher, "gerode jeds, wö der FCGa so schlimm in der Bredoullie hängt." Ich nickte beflissen, obwohl mir der FCK am Arsch vorbeigeht. Schlicher, gebrauchter Profiler. Warum muss ich im Zusammenhang mit ihm immer an die Verkehrsampeln in Pirmasens denken? Wohl weil diese vom gebrauchten Verkehrsrechner der Stadt Karlruhe mehr schlecht als recht geregelt werden. Welch ein Schicksal!

 

 Der MP von RP

 

1. Oktober 2002, 10:00 Uhr Büro Süd des PND, Jockgrim, Südpfalz

 

„Die Frage an Sie, Schlicher ist nun folgende: Handelt es sich bei diesen Niergolzingern in der Tat um drei verschiedene Personen?“ begann Schmenger energisch die Aufgaben zu verteilen. „Hat tatsächlich eine Wanderung stattgefunden oder ist das Ganze eine perfide Fiktion?“ Seine stahlgrauen Augen auf mich gerichtet, den dicken Filzzstift entkappend trat Schmenger an den Flipchart am Kopfende des ovalen Besprechungstisches. „Ich glaube nicht an tatsächliche, körperliche Anwesenheit“ sagte ich schnell, eine kleine Flasche Bellaris des Kronenkorkens entledigend. Die Flaschen standen, zusammen mit Gläsern auf einem grünen Plastiktablett mit hohem Rand in der Mitte des Tisches. Merziger Apfelsaft, Coca Cola, Vaihinger Orangensaft und eben das Mineralwasser aus Bellheim. Leider war das Cola weder light noch gekühlt. Mineralwasser verstärkt fatalerweise noch den schlechten Geschmack im Mund, aber warme Cola ist keine Alternative.„In Landau gibt es keine Jugendherberge“. Ich hatte mich noch kurz vorher schlau gemacht. „Zumindest die Lokalitäten sind fiktiv“.

 

Schmenger nickte anerkennend. Niergolzinger hatte er mittlerweile mit dickem, schwarzen Filzstift auf das weiße Blatt gelettert. Darunter, etwas kleiner und jeweils elliptisch eingekreist die drei Worte wieviele – wer – warum? Als hätte er einen längeren Denkvorgang erfolgreich abgeschlossen meldete sich der „Gebrauchte“ mit einem leichten Räuspern zu Wort: Es wäre vielleicht sochdienlich, die endsbrechenden Öloborode mol genauer ünder die Lüpe zü nähmen.“ Umständlich begann er den Overheadprojektor auszurichten. Neben dem, von mir schon gelesenen Ausdruck warf er noch zwei untereinander kopierte „Elaborate“ wie er sie nannte auf die heruntergezogene Projektionswand.

 

drei niergolzinger wandernieren,

zur zeit auf pfälzer weinlehrpfaden.

 

früh aufgebrochen, nach knoblauch gerochen,

im schweinsgalopp zur sauburg rauf.

 

durstige kehlen streben zur labung

im frühherbstlichen gold.

 

Pennthaus im Trio unterwegs * - 18.09.02 at 12:34:43

 

Der dritte Tag führt uns auf das Weinfest in dem beschaulichen Oberotterbach. Wir haben Probleme. Anton hat sich einen Wolf gelaufen, Pennthaus laboriert an einem wieder ausgebrochenen inneren Kummer; mir selbst geht es nicht besser - meine Eingeweide brennen, die Magenwände sind wundgescheuert und alles ist völlig übersäuert.

 

Wir nehmen also umständlich an der Garnitur Platz und bestellen frische Schoppen und e Pälzer Veschperplatt. Die Gläser hier haben von oben bis unten tiefe Einbuchtungen, dadurch soll die Griffigkeit erhöht werden. Ein älterer Pälzer mit verpinkelter Hose verst uns sogleich an: "De Dorscht, der macht erscht richtig Spaß, hoscht so e Pälzer Dubbeglas!" Dann lacht er etwas debil und will sofort mit uns anstoßen. Dieser Vorgang mißlingt deutlich. "Dem Schlappmaul un dem Affezibbel ..." - aber weiter kommt der betrunkene Pfälzer nicht. Er kippt von der Bank, liegt auf dem Rücken, wie ein Käfer, und verstummt augenblicklich. Frau und Sohn (FCK-Fan) richten ihn auf und tragen ihn weg. Ob dieser seltsamen Beobachtung nehmen wir jeder einen tiefen Schluck aus unserem Dubbeglas. "Mein Gott, dieser Dialekt ist ja zum weglaufen", verlacht Anton die Pfälzer Sprooch und während er sich über die Hausmacher Blut- und Leberwürste hermacht, entweicht mir ein sehr übler Atomfurz. Nach der Schelte meiner Wanderkameraden bestelle ich Sommersaumagen mit Pfifferling-Kartoffelpüree für 16 €.

 

Lloyd, Foyer der JH Oberotterbach * - 19.09.02 at 16:36:21

 

Auch hier waren bestimmte Stellen gelb gemarkert und/oder mit Ausrufe- und Fragezeichen versehen. Beiläufig schaute ich aus dem Fenster auf die Maximilianstraße, die alte B9, die nach Norden über Rheinzabern bis nach Germersheim und Speyer bis nach Oggersheim, dem weltbekannten Wohnort eines früheren MP führt. Noch weiter oben im „Hochhaus“, das unsere Dienststelle beheimatet, konnte man bis zum Rhein im Osten und zur Haardt im Westen sehen. Dort oben hatte Schmenger sein Büro. Dort waren auch die Gästezimmer. Dort war in den Siebzigern der Puff. Der richtige Ort also, für eine Dienststelle wie die unsere. Der letzte Spross der Ludovicis hatte hier baulich experimentiert. Vorgefertigte Kugelhäuser und eben dieses Hochhaus im Mailänderstil hatten ihn überdauert. Ansonsten erinnerten nur noch bunte, glasierte Ziegel auf alten Dächern der Ziegeleisiedlung und der prächtigen Villa Ludovici an die Ziegeleigründer, die bescheidenen Wohlstand in den Flecken am Hochgestade des Rheins gebracht hatten. Auch die hiesigen, rechtschaffenen Menschen wurden in den Machwerken dieser „Niergolzinger“ verspottet - mehr noch – verächtlich gemacht. Dies war eine Herzensangelegenheit geworden. Scheiß auf den Brückentag! Zieht Euch warm an ihr Defätisten!

 

„Zu der Frage, ob eine oder mehrere Personen: Ganz klar, mindestens zwei - falls der sogenannte Anton einigermaßen richtig beschrieben ist - drei unterschiedliche Personen.“ Schlicher stellte sich mit dem ausziebaren Zeigestab, Delesgobboinder wie er zu sagen pflegte, neben die Projektionswand. Wenn er referierte verlor sich sein Sächsisch fast ganz. „Gott sei Dank“ wie Schmenger im privaten Kreis, zu wiederholen nicht müde wurde. „Männer, Pennthaus Mitte Fünfzig, Lloyd Mitte Dreißig, Anton, aus zweiter Hand beschrieben beurteilt, in etwa Pennthaus-Kaliber.“ Seine Einsfünfundsechzig auf Zehenspitzen gegen die Einssiebzig streckend schaute er von Schmenger zu mir, Wichtigkeit ausstrahlend. „Nicht wirklich Freunde. Leidensgenossen eher.“

 

 

1. Oktober 2002, 10:20 Uhr Büro Süd des PND, Jockgrim, Südpfalz

 

„Zufall das Ganze?“ fragte ich in die Pause. „Gemach Kollege Wingerter, die Systematik nicht vergessen. Hirnlüften kommt nach dem Referat. Erst die Fakten.“ Schmenger nickte Schlicher aufmunternd zu. „Hirnlüften“ deutschte er mit Vorliebe das anglo-amerikanische Brainstorming ein. „Alte Langley-Schule“ sagte er immer. Er war in Langley gewesen, auf ein Stipendiat der Von-und-zu-Guttenberg-Stiftung hin. Sagte er. Auf Langley hielt er große Stücke ebenso auf seine CIA Erfahrung. Dass sie nur aus einer Touristenführung durch das Akademiegebäude bestand verriet er natürlich nicht. Nicht Jedem. Jasmin hatte er es im Liebestaumel gesteckt. Jasmin vom WND, Büro Stuttgart. Diese wiederum hatte es mir verraten - und auf sanften Druck auch die verfänglichen Fotos gezeigt - danach die Abzüge besorgt. Man weiß nie, wofür man so was braucht.

 

„Ob die besagte Tour tatsächlich stattgefunden hat, sollten die Kollegen Plattfüße vor Ort klären.“ Schlicher bekam sichtlich Oberwasser. Nur das auf mich gemünzte „Plattfüße“ war leicht versächselt. „Pennthaus versteht sich auf Worte. Allerdings viele leere Worthülsen, Sinnfälligkeit eloquent vortäuschend, Werbeterminologien. Texter wahrscheinlich. Hält sich für einen Dichter. Wie die beiden anderen Alkoholexzesse, depressiv, extrovertiert, sozialisiert seine Probleme, nicht realisierend, dass diese weder einzig noch besonders sind. Seit kurzer Zeit geschieden oder getrennt lebend.“ Jetzt entkorkte er einen Merziger Apfelsaft, schenkte sorgfältig ein, trank mit zwei winzigen Schlückchen, als hätte er eine rare Spätlese zu verkosten. Langsam stellte er das Glas wieder ab. Die Popelinejacke im zeitgeistigen Schnitt begann sich unter seinen Armen zu verdunkeln. „Der Name, gewiss ein Pseudonym, der Mann liebt Pseudonyme, lässt verschiedene Deutungen zu. Am wahrscheinlichsten ist der Bezug zu seiner Wohnsituation. Lässt auf mittlere, provinzielle Großstadt schließen. Süddeutschland wahrscheinlich. Will hintergründig frivol sein, Fremdsprachenkenntnisse rudimentär vorhanden. “Unterhalb seines linken unteren Augenlides hatte Schlicher einer Kolonie von schwarzköpfigen Mitessern gestattet, sich breit zu machen. Schmenger blickte – nicht zum ersten Mal – interessiert auf diese Stelle. Ich bin sicher, er hätte was darum gegeben, diese Dinger ausdrücken. zu dürfen. Zumindest zugeschaut hätte er dabei gerne.

 

„Lloyd ist ein anderer Fall.“ Wieder ein Winzschlückchen. „Etwa zwanzig Jahre jünger als die beiden anderen. Schreibt konkreter, wahrscheinlich Journalist. Von Kindesbeinen an vermutlich mit einem Dialekt geschlagen, der nicht überall im Lande Beifall findet. Das Pseudonym lässt sich nicht so einfach auseinandernehmen. Diese Möglichkeiten sehe ich als wahrscheinlichste an:“ Er schob eine neue Folie in den Overheadprojektor. Laut las er die Stichpunkte vor, die er in seiner Kinderschrift in königsblauen Lettern gedruckt hatte:

 

„Lloyd:

 

A. Schuhwerk. Er trägt Schuhe des gleichnamigen, mittelpreisigen Herstellers

B. Oldtimer. Er hat ein Faible für antike Gleinwägen. Leugoblasdbömber, Firma Lloyd

C. Versicherung. Er hat sein Geld in Aktien von Rückversicherern angelegt, die die Verluste von Lloyds of London kompensieren müssen. Sie wissen, wo die Glögge gebimmelt wird, wenn ein Schiff singt.“

D. Die Fluggesellschaft HAPAG-Lloyd, die Verbindung ist hier nicht ganz klar, Kniefreiheit im Flieger? Bodenpersonal?

 

Sein Blick der irrlichternd von Schmenger zu mir wechselte, heischte unverhohlen Beifall ob der trefflichen Analyse. „Vielleicht nennt er sich auch nach dem Komiker Harold Lloyd, weil er so an seiner Uhr hängt“ warf ich in die Pause. Schmenger drehte sich prustend ab. „Der Gömiger is ooch ne Öbbdsion, allerdings noochrangich“, versuchte Schlicher Herr der Lage zu bleiben. „Jedenfalls hat er differenzierte Beziehungsebenen zu den beiden anderen sogenannten Niergolzingern. Keine Equidistanz, die Nähe zu Pennthaus ist größer.“

 Merziger macht herziger!

 

1. Oktober 2002, 10:30 Uhr Büro Süd des PND, Jockgrim, Südpfalz

 

„Anton ist der, oder besser, spielt den Dirty Old Man. Potenzprobleme? Beziehungsprobleme?“ Schlicher schob eine neue Folie nach.

 

Vierter Tag in de Pfalz.

 

Saurer Wein, saurer Magen, Saumagen und Sauburg - diese schweinische Pfalz. Von Lloyd's qualvollen Dämpfen ganz zu schweigen, wo er doch selbst beim Winzer vor dem gelüfteten, abgeflämmten Barrique-Fass die nötige Kontinenz vermissen lässt. Wir ordern übereilt. Pflichtschuldigpeinlicheingedampft.

Pennthaus redet den ganzen Tag von einem wunderbaren Privatpuff in Landau, wo wir auf dem Heimweg unbedingt vorbei(schauen) müssen. Und mich juckts schon wieder im Schritt; das muss an der herrlichen Herbstluft liegen.

 

anton mit lloyd u. pennthaus / wandern südpfalz c/o grüner baum * - 20.09.02 at 13:52:57

 

„Kann mit Worten umgehen. Lehrer vielleicht, Theologe oder Psychologe, leidet mit den anderen unter der provinziellen Umgebung, mehr noch an dem Mangel an Mut, diese zu verlassen, provoziert gerne. Wie die beiden Anderen gebildet, konversationsfähig." Schmenger trotzte den Rauchverbotsschildern und sog tief an einer West-Light, die er sich während des Folienwechsels angezündet hatte. Wenn er nur nicht immer dieses unsägliche Flammenwerfer-Zippo mit dem CIA-Wappen benutzen würde. Der penetrante Benzingeruch zwingt längst Gegessenes den Rückweg anzutreten. „Das kann man so sagen“ schnaubte er, „schweinische Pfalz, kein Wunder, dass MP tobt.“

 

„Wer unentwegt vom Vögeln spricht, spricht zwar viel, doch vögelt nicht!“ Wir drehten die Köpfe Richtung der wohlklingenden, weiblichen Stimme, die dieses große Wort so gelassen ausgesprochen hatte. Beladen mit einem Tablett der Art, wie schon eines auf der Tischmitte stand, betrat meine Assistentin Hedwig den Raum. Hedwig Kaefir, genannt Harry. „Ich bringe mal Kaffee, abessinischen, feiner Arabica, handgebrüht.“ Ihr Kaffee ist berühmt, weit über unsere Dienststelle hinaus. Nein, nicht die oft beschriebene Brühe, so dick, dass der Löffel stecken bleibt. Auch nicht dieses harte Gebräu aus Lavazza und Gaggia, das mit der Geräuschentwicklung eines startenden Kampfjets unter gewaltiger Dampfentwicklung in zu dicke Tassen tröpfelt. Hedwigs Kaffee ist eine Symphonie, Sinne schmeichelnd, Lebensgeister weckend. „Der Spruch ist vom Tant’ Malchen aus Wallerfangen“ sagte sie beim Eingießen. Malchen mit langem A war ihre längst verblichene Erbtante. „Natürlich sagte Malchen „schaffen“ und nicht „vögeln“.

 

Hedwig/Harry sagte grundsätzlich Abessinien. Wie die Ras Tafari. Sie hatte ebensolche in einer WG in Hamburg kennengelernt. Diese waren allerdings aus Jamaika und verehrten den Jah Ras Tafari. Besser bekannt als Negus Haile Selassi. Nein, Kaffee kochen hatte sie dankenswerter Weise nicht bei denen gelernt, sondern im Blue Nile in Berlin. „Der Name Anton ist ebenso ein Pseudonym wie Pennthaus und Lloyd. Was allerdings dahintersteckt, ich bin hier ziemlich ratlos. Vielleicht, weil eine Affinität zu Erich Kästner und Pünktchen und Anton“. Schlicher schien hier wirklich ratlos. „Oder er nennt sich, einer sexuellen Vorliebe folgend Anton. Nach Anton Schlecker, dem Drogeriemogul“ Hedwig verschüttete beinahe den guten Arabica, während sie mich mehr belustigt als tadelnd ansah.

 

 

Der Ermittler auf einem geselligen Privatfest

 

 

1. Oktober 2002, 10:30 Uhr Büro Süd des PND, Jockgrim, Südpfalz

„Danke Schlicher“. Schmenger übernahm, ebenfalls schmunzelnd, wieder das Kommando. „Tolles Gesöff, Kaefirchen“ lobte er Hedwig für den Kaffee, deren Kingsizebeine im engen Kostümrock wohlgefällig musternd. „Niergolzingen ist ebenfalls fiktiv“. Schlicher war noch nicht mit seinem Latein am Ende. „Einen gleichnamigen Ort gibt es nicht. Auch nicht welche mit abweichenden Schreibweisen. Das Nächstliegende wäre Nagold. Ist aber zugegebenermaßen ziemlich weit hergeholt für etwas Nächstliegendes.“ Nagold war mir ein Begriff. In Nagold war mein Freund Remy auf der Textilfachschule gewesen, bevor er das elterliche Kurzwarengeschäft in der Westpfalz übernahm. Er fuhr damals die Strecke Pirmasens – Nagold mit seinem VW Standard im Achtziger-Schnitt um Normalbenzin zu sparen. Das war pro Fahrt ein halber Liter - in den Mittsechziger Jahren - umgerechnet ungefähr vierundzwanzig Cent. Mit dieser Sparsamkeit, bei uns galt er als geizig, war er in Württemberg gut aufgehoben gewesen. Als Ursprung für Niergolzing machte der Flecken aber wirklich nichts her. Nur Schmenger, der dort unter Rauh, dem „Schleifer von Nagold“ seine Grundausbildung genossen hatte, liebäugelte scheinbar mit dieser Möglichkeit. „Das alte Fallschirmjägerbataillon 252 würde mit diesen Burschen kurzen Prozess machen” kam auch sofort die befürchtete Reaktion. Jetzt ganz schnell das Thema wechseln.

„Den Teil „Fakten“ haben wir jetzt ja wohl hinter uns“. Ich hoffte mit diesem Einwurf von Sprungübungstürmen, Rundkappen, Nachtmärschen, Springerstiefeln und unverbrüchlicher Kameradschaft ablenken zu können. „Nicht ganz, zum Namen hätte ich folgenden Fakt: Ortsnamen, die mit -ingen enden, bezeichnen Siedlungen, die nach einer berühmten Person oder einer geographischen Einheit benannt wurden, wie Sigmaringen, gegründet vom Teutonen Sigmar, vorwiegend in Schwaben”
Helene/Harry hatte inzwischen Platz genommen und ihr Notebook aufgeklappt. „Daher ist auch der Arbeitstitel leicht irreführend. „Niergolzing“ würde auf einen bayrischen Ursprung schließen lassen.“ Ihr Mobiltelefon lag hinter dem Notebook, über die Infrarotschnittstelle mit diesem kommunizierend. Uhu nannte sie den Rechner, den sie nahezu überall hin mit sich schleifte. „Uhu“ als Sinnbild der Weisheit deshalb, weil es sie, ihrer Meinung nach mit dem gesamten Wissen der Menschheit verband. Tsss, Notebook mit Namen - ein typisch weibliches Verhalten. Mein Vorschlag den ständigen Begleiter „Meise“ zu nennen, weil dies auf den Geisteszustand desjenigen schließen lässt, der seinem Computer einen Namen gibt, quittierte sie mit einem schnippischen „Blödmann“.

„Also Schwoobe“ kombinierte Schmenger aus Hedwigs Einwurf. „Mittlere Großstadt, dieser Begriff ist glaube ich vorhin gefallen, das schränkt die Möglichkeiten erheblich ein“. „Karlsruhe, Mannheim und Stuttgart, denke ich. Freiburg, Ulm und Heilbronn kann man in diesem Zusammenhang getrost vergessen. Karlsruhe und Mannheim strich ich im Geiste auch schon von dieser Liste. Für den Karlsruher ist wegen des beinahe täglichen Kontaktes der Pfälzer Dialekt nichts ungewöhnliches, der Mannheimer spricht selbst eine Unterart des Pfälzischen. Bleibt Stuttgart. Für die Vor-Ort-Recherche wäre mir Freiburg lieber gewesen, aber das hatte Schmenger soeben vorerst ausgeschlossen. „Wingerter, Sie kümmern sich mal um die genannten Orte, Kaefir unterstützt Sie. Kamerad Schlicher vertieft die gewonnenen Erkenntnisse. Ich erwarte bis 14:00 Uhr eine schriftliche Zusammenfassung“

„Zufall?“ wiederholte ich meine vorhin gestellte Frage. „Nicht ganz auszuschließen, wenigstens der Angriff auf MP. Die Beleidigung des Pfälzers an sich ist und bleibt meines Erachtens volle Absicht. Wahrscheinlich brauchen diese „Niergolzinger“ in ihrer konkreten Lebenssituation „Ihre persönlichen Neger“. Schlicher packte mit einem entschuldigenden Achselzucken seine Folien zusammen. „Man müsste halt ein wenig mehr wissen“.

 

 

„Das alte Fallschirmjägerbataillon 252 würde mit diesen Burschen kurzen Prozess machen”

 


1. Oktober 2002, 11:00 Uhr Büro Süd des PND, Jockgrim, Südpfalz


In meinem  Büro, Sicht nach Osten in Richtung Feind, Rhein und Tankanlagen der Mobil Oil,  4. Stock, begannen Hedwig und ich, das eben Gehörte zu strukturieren, einen Schlachtplan auszuarbeiten. „Dass Schmenger keinen Unterschied zwischen Schwaben und Badenern macht, lässt ihn nicht in einem besonders guten Licht erscheinen." Hedwig hatte fein aufgepasst. „Ob der künstlich hochgehaltene Unterschied bei der frühmittelalterlichen Namensgebung eine große Rolle gespielt hat?" mit einem „wahrscheinlich nicht" beantwortete ich diese eher rhetorische Frage gleich selbst.
Hedwig saß zurückgelehnt in Heuschreckenbeinhaltung auf meinem Besucherstuhl. Ich sollte sie darauf aufmerksam machen, dass sie heute den obligatorischen Hosenanzug mit dem Businesskostüm getauscht hatte. War jammerschade, aber  besser für die Konzentration: „Victorias Secret?" fragte ich so beiläufig wie möglich. Lasziv langsam, in keinster Weise verlegen, schlug sie die langen Beine übereinander. „Anton Schlecker" lachte sie laut heraus. „Ich schau mal, ob das schon alles war, was diese „Niergolzinger fabriziert haben". Mit einem leise sirrenden Geräusch begann „Uhu" seine Arbeit zum Wohle der Pfalz, schien gleichsam lebendig zu werden. „Loop?" fragte Hedwig über den schlichten, lichtgrauen Versandhausschreibtisch hinweg. „Ich versuch’s mal mit Google" erklärte sie, nunmehr über den Schreibtisch gebeugt, den Bildschirm betrachtend.
Da war er wieder, dieser Google. „Google ist eine schicke Suchmaschine" klärte mich Hedwig auf. „Man gibt ein Stichwort ein und schaut, was Google in zweieinhalb Milliarden Seiten dazu findet."Dies würde, soviel war absehbar, eine längere Prozedur werden. „Auch eine Cola?" fragte ich, meinen Drehsessel verlassend. „Lieber einen Prosecco" antwortete sie leicht abwesend, Tageszeit und Alkoholverbot negierend. Ich schenkte zwei Prosecco ein. Ein Vorrat von ein paar Flaschen stand immer kalt im Kühlschrank unserer Teeküche am Ende des Flures. Selbstverständlich auch hiesiger Riesling und Dornfelder, der letztere natürlich im Regal neben dem Kühlschrank. Hedwig griff nach dem Glas, den Blick nicht vom Bildschirm wendend. „Das kommt ja noch viel dicker" murmelte sie, „entweder weiß Schmenger noch nicht alles oder er spielt falsch, guck", Sie drehte das Notebook leicht in meine Richtung:

 

Tag 5: Kühl kalkuliert auf Wanderschaft

 

fünf niergolzinger wanderhoden,

sauber gehüllt in grauen loden.

pfälzer luden werden wach und harren

der ahnungslos hoffnungsvollen gesellenschaft.

 

anhaltende beschwerden in schritt, gedärm und seele:
apothekennotdienst oder nächste winzerei?

 

drei männer, fünf eier, keine frage:
schoppenhilfe, geschmeidige rast, lass’ fahren dahin das ferne ziel.

 

marianne g. im trachtenschurz: ex-weinkönigin,
national und international erfahren, tv- und messeauftritte,
ausgestattet mit gütesiegeln für besondere gastlichkeit.
empfangsbereit, strohherbstliches geraschel zwischen oben und unten,
traubensaftiges versprechen einer vollfleischigen taube im schmortopf.

 

schritt, gedärm und seele entledigen sich aller hemmungen,
ludenlegionäre werden an den tisch gebeten.
eine ex-weinkönigin zupft gespielt verschämt am ausschnitt ihrer bluse.
zwei von vier luden singen das pfälzerlied,
zwei andere versuchen sich an antons solar-taschenrechner.
lloyd landet derweil unbemerkt einen königlichen stich.
ganz privat und sehr persönlich,
nahe landau/pfalz - zum nulltarif.

 

pennthaus fern * - 21.09.02 at 14:25:39
 
Ich schaute in meinen hellgrünen Hängeregistraturordner. „Dieses Machwerk und eines von Anton, vom Wahltag, also dem 22. September habe ich hier.“ „Getürkt“ sagte ich. „Woran will der Kerl denn einen Luden erkennen? Die Beschwerden im Schritt glaube ich ihm.“



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